
Die Crux mit der CO₂-Berechnung
Emissionen im Bauwesen – mit dem ATP-CO₂-Tool auf dem Weg zu präziseren Vorhersagen
Die valide und vergleichbare Berechnung von CO₂-Emissionen stellt eine zentrale Herausforderung im Bereich des nachhaltigen Bauens dar. Während für betriebsgebundene Emissionen mittlerweile etablierte Normen existieren, gestaltet sich die Bilanzierung materialgebundener Emissionen nach wie vor schwierig. Dies ist insbesondere auf die Komplexität der Datenlage und politische Entscheidungen zurückzuführen, die exakte Vorhersage erschweren.
Rote Emissionen? Graue Energien? – Was ist das genau?
In der Nachhaltigkeitsdiskussion ist oft von roten und grauen Emissionen die Rede. Betriebsgebundene „rote“ Emissionen entstehen im laufenden Betrieb eines Gebäudes, etwa durch Heizung, Lüftung, Warmwasseraufbereitung oder Beleuchtung. Materialgebundene „graue“ Emissionen hingegen entstehen bei der Herstellung, dem Transport, dem Einbau, der Wartung, dem Rückbau und der Entsorgung von Baustoffen.
Energie ist dabei ein universelles Gut: Egal, ob ein Ziegel in Deutschland, Brasilien oder China produziert wird – der Energiebedarf ist ähnlich. Der entscheidende Unterschied liegt in der Art der Energiequelle. Wird beispielsweise grüne Energie wie Photovoltaik oder Wasserkraft verwendet, entstehen weniger Emissionen als bei fossilen Brennstoffen wie Öl. Hinzu kommen länderspezifische Emissionsfaktoren, die stark von politischen Entscheidungen abhängen – etwa durch Bevorzugung bestimmter Technologien.
Die Schwierigkeit mit der CO2-Analyse
Die EU hat mit dem Green Deal einen wichtigen Schritt in Richtung Klimaschutz und nachhaltigem Bauen unternommen. Die Vorgaben des Green Deals definieren, wie betriebsgebundene Emissionen erfasst und bilanziert werden müssen. Dies hat zu besseren Entscheidungen in der Planung geführt: Während früher etwa 70–75 % der Gesamtemissionen auf den Betrieb entfielen, haben wir es heute geschafft, diese auf 30 % der Gesamtemissionen zu reduzieren.
Für betriebsgebundene Emissionen existieren europaweit etablierte Normen seit den 1980er-Jahren. Bei materialgebundenen Emissionen jedoch sind wir erst seit 2012 auf dem richtigen Weg, mit der Einführung der Environmental Product Declaration in der EU. Ein weiteres Problem: Die zugrundeliegenden Emissionsfaktoren variieren stark je nach Land und sind politisch beeinflusst.
Bei den betriebsgebundenen Emissionen haben wir inzwischen viel Erfahrung gesammelt, sodass wir diese gut prognostizieren können, auch wenn weiterhin politisch motivierte Faktoren wie beim Material hineinwirken. Bei den materialgebundenen Emissionen hingegen ist die Lage deutlich komplexer.
Ein durchschnittliches Gebäude besteht aus rund 20.000 verschiedenen Materialien. Bei jedem dieser Materialien müssten wir genau prüfen, wo es produziert wurde, von wem es geliefert wurde, wie es verarbeitet wurde. Das ist unrealistisch. Deshalb greifen wir auf Datenbanken mit standardisierten Werten zurück, wobei wir uns bewusst sind, dass diese oft ungenau sind und politische Faktoren in die Berechnung einfließen.
Die größte Hürde momentan ist, Emissionen genau zu prognostizieren.
Wie können betriebsgebundene Emissionen reduziert werden?
Um Energie und Emissionen richtig zu reduzieren, geht man 4 Schritte:
A. Zunächst können passive Maßnahmen wie der Austausch von Fenstern oder die Verbesserung der Wärmedämmung ergriffen werden.
B. Auch Effizienzmaßnahmen wie die Optimierung der Lüftungsanlage oder der Austausch von Geräten tragen zur Reduzierung bei.
C. Der Einsatz regenerativer Energien „on site“ wie Photovoltaik oder Wärmepumpen ist ein weiterer Schritt in Richtung Nachhaltigkeit.
D. Eine vierte Möglichkeit stellt der Bezug von regenerativen Energien „off-site“ dar, etwa durch den Bau von PV-Anlagen auf einem anderen Grundstück oder den Kauf von Zertifikaten.
Mit diesen A-B-C-D-Maßnahmen können Gebäude heute so optimiert werden, dass der Energiebedarf erheblich gesenkt wird (Stichwort „Nearly Zero Energy Building“). Wichtig dabei ist, dass zuerst der Bedarf im Betrieb reduziert wird und regenerative Energien erst im Anschluss eingesetzt werden – der umgekehrte Weg funktioniert nicht bzw. kontakariert die grauen, materialgebundenen Emissionen.

Bei den materialgebundenen Emissionen ist die Situation jedoch komplexer. Es gibt am Markt zwar Ökobilanz-Tools, doch diese benötigen viele Eingangsdaten, die in den frühen Projektphasen oft nicht vorliegen. Deshalb haben wir uns bei ATP entschieden, ein eigenes CO₂-Berechnungstool zu entwickeln, mit dem wir die CO₂-Bilanz realer Projekte berechnen können als Differenz-Ökobilanz. Auf diese Weise können wir frühzeitig feststellen, welche Materialien einen hohen oder niedrigen CO2-Footprint haben und so fundierte Entscheidungen treffen. Das Tool hilft nicht nur, den CO2-Ausstoß zu reduzieren, sondern liefert auch wichtige Erfahrungswerte, die für zukünftige Projekte genutzt werden können.
Was versteht man unter einem Bilanzierungsrahmen?
Um die Vergleichbarkeit von CO₂-Berechnungen zu verbessern, ist der Bilanzierungsrahmen entscheidend. In verschiedenen Normen, wie die OIB-Richtlinien in Österreich oder dem Gebäudeenergiegesetz (GEG) in Deutschland, ist der Bilanzierungsrahmen für betriebsgebundene Emissionen festgelegt. Für Materialien ist dies in den zugehörigen Norm festgelegt wie etwa der Rahmen für Lebenszyklusberechnungen, der auf 50 Jahre festgelegt ist – unabhängig davon, ob das Material länger hält oder nicht.
Auch der physische Rahmen ist von großer Bedeutung: Was genau wird bilanziert? Das Gesamtgebäude? Mit Parkplatz? Dies ist entscheidend, da asphaltierte Parkflächen oft mehr Emissionen verursachen als das Gebäude selbst.
Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass wir bei Materialien nicht alle Lebenszyklus-Phasen berechnen können: Wir wissen beispielsweise zu wenig über die Antransport-Emissionen des LKWs. Das führt dazu, dass die Ökobilanzdaten trotz eines einheitlichen Bilanzierungsrahmens nicht immer präzise miteinander verglichen werden können. Eine bessere Vergleichbarkeit wird erst erreicht, wenn der Bilanzierungsrahmen und die Bilanzierungsdaten transparent und klar definiert sind. Nur dann können wir nachvollziehen, welche Aspekte überhaupt berechnet wurden – und die Unterschiede können drastisch sein. Es geht nicht nur um 2–3 %, sondern teilweise um bis zu 100 %.
Erst wenn wir einheitliche Produktinformationen und eine gute Struktur haben, können wir Gebäude wirklich miteinander vergleichen.
Fazit und Ausblick
Die präzise Gesamt-CO2-Bilanzierung ist nach wie vor eine der großen Herausforderungen im Bauwesen. Während wir bei den betriebsgebundenen Emissionen bereits große Fortschritte erzielt haben, bleibt die genaue Berechnung der materialgebundenen Emissionen problematisch. Der Weg zu einer genaueren CO2-Bilanzierung erfordert nicht nur die Entwicklung besserer Tools und Standards, sondern auch eine verstärkte Sammlung und Auswertung relevanter Daten. Nur so können wir sicherstellen, dass die CO2-Emissionen von Gebäuden in allen Phasen ihres Lebenszyklus nachhaltig reduziert werden und das Bauwesen den Übergang zu einer klimafreundlicheren Zukunft aktiv mitgestalten kann.